Lärm

W. Babisch, R. Guski, H. Ising, C. Maschke, T. Myck, H. Niemann, M. Spreng

Abstract aus dem Handbuch der Umweltmedizin:

Schall durchdringt unser Leben allerorts. Er ist ein essenzieller Bestandteil unseres sozialen Lebens und gleichzeitig unerwünschter Abfall. Unser Körper ist biologisch dazu vorbereitet, Schall zu erzeugen und zu verarbeiten. Hierin besteht ein Unterschied zu anderen Schadstoffen, denen wir im Alltag ausgesetzt sind und die wir zu einem großen Teil nicht wahrnehmen können. Wir benötigen Schall zur Kommunikation, Orientierung und als Warnsignal. Ein Übermaß an Schall, in Stärke und Dauer, beeinträchtigt jedoch nicht nur das subjektive Wohlempfinden, sondern kann zu nachhaltigen gesundheitlichen Schäden führen. Lärm wird wegen seiner Wahrnehmbarkeit und seiner weiten Verbreitung im Alltag von vielen Menschen als die Hauptumweltbelastung angesehen. Sowohl das bewusste Erleben des Lärms als auch die unbewusste Verarbeitung von Schallsignalen im Organismus können Auslöser für Körperreaktionen sein, die längerfristig das Risiko fürmanifeste Krankheiten im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems erhöhen.

Für die Beurteilung der auralen Wirkungen (Gehörschäden) ist neben dem Spitzenpegel die Gesamtdosis
der einwirkenden Schallenergie von Bedeutung. In den Arbeitsschutzrichtlinien ist formuliert, bei welcher täglichen Lärmdosis z. B. persönlicher Schallschutz verwandt werden muss. Immissionsbelastungen durch Verkehrsgeräusche liegen im Allgemeinen unterhalb der Gehörschädigungsgrenze. Im Audiogramm erkennbare lärmbedingte Gehörschäden, die nicht auf Arbeitslärm zurückzuführen sind, haben häufig in Freizeitlärmbelastungen ihre Ursache. Dort hat der Einzelne im Gegensatz zum Umweltlärm im Prinzip zwar die Kontrolle über die Lärmbelastung. Allerdings führen die Unkenntnis und Ignoranz vor den Folgen hoher Lärmbelastung (z. B. laute Musik, Feuerwerk, laute Hobbies) häufig zu einem nachlässigen Umgang mit solchen Lärmquellen, weshalb eine fortwährende Aufklärung der Bevölkerung über die Gesundheitsgefahren durch Lärm notwendig ist.

Die extra-auralen Lärmwirkungen (nicht das Gehör betreffend) lassen sich nicht mit den üblichen toxikologischen Konzepten begreifen. Das Ausmaß der Lärmwirkungen hängt stark davon ab, wie sehr der Lärm mit Aktivitäten des Einzelnen interferiert (z. B. Kommunikation, Konzentration, Lernen, Entspannung, Schlaf). Die in Bevölkerungskollektiven beobachteten Zusammenhänge spiegeln die Wirkungen des Lärms in einem real vorliegenden Mix von Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Dispositionen und Aktivitäten wider und sind die Grundlage für Lärm-politisches Handeln. Im Umweltbereich stellt der Straßenverkehrslärm wegen seiner flächendeckenden Verbreitung die Hauptlärmquelle für Lärmbelästigung, Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Krankheiten dar. Hier hat der Einzelne weit weniger Möglichkeiten, sich der Lärmbelastung zu entziehen.

Die Evidenz dafür, dass chronische Umweltlärmexposition das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten einschließlich Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall erhöht, hat sich in den letzten Jahren deutlich verfestigt. Umso mehr ist die Politik gefordert hier für verträgliche Belastungen zu sorgen. Nachhaltige Maßnahmen zur Lärmbekämpfung steigern nicht nur die Lebensqualität der Menschen, sondern verringern auch die Krankheitslast in der Bevölkerung. Die Umweltmedizin muss den Lärm als mögliche Ursache für körperliche und seelische Beschwerden von Patientinnen und Patienten mit in Betracht ziehen, auch wenn es im Einzelfall schwierig ist, eine gesundheitliche Beeinträchtigung direkt oder allein dem Lärm zuzuordnen. Unter „Public Health“-Gesichtspunkten geht es daher besonders um die Verringerung von bevölkerungsbezogenen Risiken. Risiken sind Wahrscheinlichkeiten. Das bedeutet, dass – wie bei anderen Expositionen auch – grundsätzlich nicht vorhergesagt werden kann, welches Individuum in einer Population betroffen sein wird (Vorhersage). Die epidemiologische Forschung hat jedoch gezeigt, dass die Prävalenz und Inzidenz von körperlichen Belastungsfaktoren und Krankheiten in lärmbelasteten Gebieten erhöht ist. Auch wenn die Risikoerhöhung im Vergleich zu verhaltensbedingten Risiken (z. B. Rauchen) klein ist, erwächst die umwelt-/gesundheitspolitische Relevanz aus der großen Anzahl der Betroffenen.

Zitierweise:
Babisch W, Guski R, Ising H, Maschke C, Myck T, Niemann H, Spreng M (2014). Lärm. In: Wichmann HE, Fromme H (Hrsg): Handbuch der Umweltmedizin, Kap. VII-1, 52. Erg.Lfg., ecomed Medizin, Landsberg

Wichmann / Fromme / Zeeb

Toxikologie - Epidemiologie - Hygiene - Belastungen - Wirkungen - Diagnostik - Prophylaxe

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