Musikerkrampf, Fokale Dystonie – Berufskrankheit Nr. 2115

Auszug aus Begutachtung chirurgisch-orthopädischer Berufskrankheiten durch mechanische Einwirkungen:

Der bekannteste Vertreter, der nach allem, was über seine Erkrankung bekannt ist, an einer Dystonie erkrankte, war Robert Schumann (1810–1856). Der junge Schumann strebte eine Karriere als reisender Klaviervirtuose an. Zwanzigjährig hatte er 1830 in Heidelberg sein erstes großes Konzert und seinen ersten großen Erfolg. Jedoch schon zwei Tage nach dem hochgelobten Konzert beklagte er seinen „betäubten Finger“. Der Mittelfinger der rechten Hand krümmte sich unbeherrschbar beim Klavierspielen.
Nach verzweifelten Versuchen, den Krampf zu überwinden, gab er 1833 die Karriere als Klaviervirtuose auf und widmete sich – zum Glück – der Komposition.
Der sog. Musikerkrampf, der am 01.08.2017 in die Liste der Berufskrankheiten als Nr. 2115 aufgenommen wurde, konnte als „Wie“-Berufskrankheit seit dem 24.10.2014 anerkannt werden.
Nicht anerkannt wurden – obwohl die Krankheitsbilder ähnlich sind – der „Schreibkrampf“, der „Melkerkrampf“, der „Golferkrampf“, die „Glasbläserdystonie“ usw. Entweder ist das Krankheitsbild nicht berufsspezifisch bzw. nicht einmal arbeitsmarktspezifisch (Schreibkrampf), oder diese Tätigkeiten gehören in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht mehr oder in der Mehrzahl der Ausübenden grundsätzlich nicht („Golferkrampf“) zum aktuellen Allgemeinen Arbeitsmarkt, oder die Zahl der Betroffenen ist zu gering, so dass darüber keine konkreten Erkenntnisse vorliegen. Anders als das berufliche Musizieren sind diese Tätigkeiten auch nicht Gegenstand des öffentlichen Interesses und damit nicht Gegenstand internationaler Forschung, so dass schon deshalb keine Erkenntnisse vorliegen und diese Krankheitsbilder nicht als Berufskrankheit gelistet werden können.
Bei dem Krankheitsbild handelt sich um eine fokale Dystonie, also um lang anhaltende Muskelkontraktionen, die die Regionen des Körpers betreffen, die unter äußerster Präzision komplexe Bewegungen ausführen.

Merke
Der „Musikerkrampf“ ist nach derzeit herrschender Meinung, die der Kodifikation der BK Nr. 2115 zu Grunde liegt, eine Erkrankung der zentralnervösen Basalganglien. Er kann nur klinisch gesichert werden, wobei apparative Bewegungssensoren ein Hilfsmittel sein können. Zuständig für die Sicherung des „Musikerkrampfes“ ist das Fachgebiet Neurologie. Andere Fachgebiete sind jedoch beteiligt, soweit andere Ursachen auszuschließen sind.
Betroffen sind von der Berufskrankheit vor allem die Spieler folgender Instrumente:

  • Tasteninstrumente (z.B. Klavier)
  • Streichinstrumente (z.B. Geige, Bratsche)
  • Zupfinstrumente (z.B. Zitter, Harfe)
  • Holzblasinstrumente (z.B. Flöte, Klarinette)
  • Blechblasinstrumente (z.B. Trompete, Posaune)
  • Perkussionsinstrumente (percussio = Schlagen, Takt – z.B. jede Form der Trommelns)

Eine bestimmte Personengruppe muss bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als der Bevölkerungsdurchschnitt besonderen Einwirkungen ausgesetzt sein.
Arbeitstechnisch (Vollbeweis) ist Orientierungswert (nicht Abschneidekriterium) eine intensive repetitive Tätigkeit von mindestens 10 Jahren bzw. eine kumulative Gesamtspielzeit von mindestens 10 000 Stunden.
Zu berücksichtigen ist nur die versicherte Tätigkeit. Versichert sind also nur Berufsmusiker, nicht z.B. das Üben im Kindesalter und in der Jugend. Diese eigentlich selbstverständliche Voraussetzung findet ihre Erklärung darin, dass die Unternehmer – im Falle der Berufsmusiker in aller Regel kommunale Institutionen – die Kosten tragen und damit nur haften für Schadensursachen, die in dem von ihnen kontrollierten Bereich entstanden sind.
Dies führt dazu, dass eine Vielzahl von Dystonien, so z.B. die von Robert Schumann, nicht als Berufskrankheit anerkannt werden kann, weil sie auf intensives Üben bereits im Kindesalter und in der Jugend zurückgehen.

Merke
Die Berufskrankheit Nr. 2115 ist, wobei es sich nicht um ein Abschneidekriterium handelt, intensive repetitive Tätigkeit von mindestens 10 Jahren bzw. eine kumulative Gesamtspielzeit von mindestens 10 000 Stunden.


Zitierweise:
Ludolph E (2019). Die Berufskrankheit Nr. 2115 – Musikerkrampf. In: Ludolph E, Meyer-Clement M: Begutachtung chirurgisch-orthopädischer Berufskrankheiten durch mechnische Einwirkungen, ecomed Medizin, Landsberg

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