Psychogene Krampf-Anfälle

V. Faust

Den kompletten Beitrag können Sie in unserem Buch "Psychische Störungen heute" nachlesen.

Epileptische Anfälle sind eine schwere Belastung, aber nicht nur für den Betroffenen, auch für sein Umfeld. Dabei gibt es nicht nur die großen, dramatischen Krampf-Anfälle, sondern auch eine Reihe weiterer Anfalls-Formen, die es ggf. zu kennen, rechtzeitig zu diagnostizieren und gezielt zu behandeln gilt.

Eine davon sind die psychogenen, seelisch bedingten Krampf-Anfälle. Früher nannte man sie hysterische oder Pseudo-Anfälle, heute psychogene nicht-epileptische oder dissoziative Anfälle.

Was versteht man darunter? Was sind die Ursachen, Hintergründe, Auslöser, Verstärker, Umfeld-Bedingungen usw.? Wie häufig sind sie? Gibt es geschlechts- und alters-spezifische Unterschiede? Wie sind Krankheitsverlauf und Heilaussichten? Gibt es hilfreiche Hinweise aus Kranken-Vorgeschichte, Selbstschilderung, Beobachtungen durch Angehörige, Bekannte, Kollegen? Was charakterisiert den dissoziativen Anfall und vor allem: wie unterscheidet er sich von anderen Anfallsformen? Insbesondere wie differenziert man zwischen psychogenem und „echtem“ Anfall? Welche technischen und Labor-Befunde sind zur Diagnose-Sicherung verfügbar?

Und schließlich: Was kann man tun? Das beginnt mit Verdachts-Hinweisen, fach-spezifischen Untersuchungen (und zwar nicht nur neurologisch, auch internistisch, zuletzt vor allem psychiatrisch und psychologisch)? Und wenn die Diagnose feststeht, wie geht man am sinnvollsten vor, was Aufklärung, Motivation, Betreuung und schließlich gezielte Behandlung anbelangt, nämlich psycho-, sozio- und ggf. pharmako-therapeutisch?

Die wichtigsten Anfalls-Formen
Unabhängig von noch offenen wissenschaftlichen Fragen unterteilt man im praktischen Alltag in folgende Anfälle:

  • Absence: Verlust oder deutliche Einschränkung des Bewusstseins von kurzer Dauer mit plötzlichem Beginn und Ende (starrer Blick, Bewegungsstopp u.a.).
  • Grand mal-Anfall: Diese schwerste Form epileptischer Anfälle, auch als generalisierter tonisch-klonischer Anfall bezeichnet, geht mit Bewusstseinsverlust einher, gelegentlich mit einem gepressten Schrei und oft mit einem Sturz mit zum Teil unangenehmen Verletzungen. Im tonischen Stadium kommt es zur Versteifung sämtlicher Gliedmaßen sowie der Gesichts-, Hals- und Rumpfmuskulatur. Im klonischen Stadium zeigen sich allgemeine Zuckungen, anfangs sehr fein und rasch, später langsamer, dafür an Heftigkeit und Bewegungs-Ausschlag zunehmend. Das Bewusstsein ist erloschen, die Gesichtsfarbe anfangs blass, später bläulich gefärbt. Urinabgang, Speichelaustritt und Biss-Verletzungen (Zunge, Wange) sind häufig. Am Schluss allgemeine Muskel-Erschlaffung und prustende Atmung. Die Bewusstlosigkeit geht in einen tiefen Nach-Schlaf von kurzer bis ggf. stundenlanger Dauer über. Ist er kurz, finden sich oft Dämmer- und Verwirrtheitszustände mit Bewegungsunruhe und Verkennung von Ort und Personen. Manchmal geht einem solchen „Großen Anfall“ ein „Vorgefühl“ (Fachbegriff: Aura) voraus. Dann kann sich der Betreffende eher darauf einrichten und die Sturz-Folgen sind nicht so heftig.
  • Komplex-fokaler Anfall, auch psychomotorischer Anfall genannt. Hier finden sich automatische, d.h. koordinierte, unwillkürliche, aber meist sinnlose Bewegungsabläufe, die sich oft gleichmäßig wiederholen. Beispiele: Schmatz-, Leck- oder Kau- sowie Nestel-, Zupf- oder Wisch-Bewegungen mit den Händen. Manchmal auch Umhergehen oder Auskleiden. Möglich, wenn auch selten, sind sogar kritische Situationen, z.B. im Verkehr (Unfallverursachung ohne es zu registrieren). Für den Anfall-Ablauf besteht meist Erinnerungslosigkeit (Fachbegriff: Amnesie). Oft auch hier zu Beginn ein „Vorgefühl“ (Aura).
  • Hypermotorischer Anfall: Wie beim psychomotorischen Anfall (s.o.), jedoch heftiger: Hin- und Herwerfen von Kopf und Körper, ausfahrende Arm- und Bein- sowie heftige Beckenbewegungen. Dabei Stöhnen, Schimpfen oder Jammern. Das Bewusstsein kann erhalten bleiben.
  • Tonischer Anfall: längere Anspannung der Muskulatur. Beispiele: Beuge- oder Streck-Bewegung eines Armes, entsprechende Bewegungen in alle Richtungen des Kopfes oder des Schultergürtels. Danach ggf. kurze Muskelzuckungen oder Nestel-Bewegungen. Das Bewusstsein kann erhalten oder gestört sein.
  • Klonischer Anfall: Zuckungen einer oder mehrerer Muskelgruppen (meist einseitig), rhythmisch und anhaltend mit deutlich sichtbarem Bewegungseffekt von Arm, Gesichtshälfte usw. Bewusstsein ungestört. Wenn sich die Zuckungen von einer umschriebenen Region (z.B. Hand oder Fuß) schrittweise auf andere Körperteile ausbreiten, nennt man dies „motorische Jackson-Anfälle“.
  • Myoklonischer Anfall oder ImpulsivPetit-Mal: typische, meist beidseitige und symmetrisch auftretende Muskelzuckungen, an den Armen, vor allem Richtung Unterarm/Hand. Bei Kleinkindern so genannter „Blitzanfall“ mit einer einzelnen heftigen Zuckung.
  • Nick-Anfall: kurze ruckartige Vorwärtsbewegung des Kopfes, oft in Serie. Meist bei jüngeren Kindern.
  • Psychogene Anfälle, auch nichtepileptische Anfälle bzw. dissoziative Anfälle genannt. In der englischen Fachsprache psychogenic non-epileptic seizures bzw. pseudo-seizures. Einzelheiten siehe nachfolgenden Text...

 

Zitierweise:
Faust V (2021). Psychogene Krampf-Anfälle. In: Faust V. Psychische Störungen heute, 74. Erg.-Lfg., Landsberg: ecomed Medizin

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