Gesundheitliche Risiken von Stickstoffdioxid im Vergleich zu Feinstaub und anderen verkehrsabhängigen Luftschadstoffen

H.-E. Wichmann

Abstract aus Umweltmedizin – Hygiene – Arbeitsmedizin:

Hintergrund:

Luftschadstoffe aus dem Kraftfahrzeugverkehr stellen anerkanntermaßen ernst zu nehmende gesundheitliche Risiken für die Bevölkerung dar. Dabei ist es wichtig, die Beiträge der einzelnen Schadstoffe ebenso wie die Bedeutung des Schadstoffmixes als Ganzes zu betrachten, um zu den richtigen Schlussfolgerungen und Maßnahmen zu gelangen.

Methode:

Dieser Diskussionsbeitrag basiert auf den Bewertungen internationaler Gremien wie WHO/EU und US-EPA zu Wirkungen von NO2, Feinstaub (PM10, PM2,5) sowie weiteren verkehrsabhängigen Schadstoffen. Dabei stehen die Belastbarkeit der Datenlage und die quantitative Betrachtung von Effekten der Langzeitexposition im Vordergrund. Ferner werden gesundheitliche Auswirkungen von Reduktionsmaßnahmen betrachtet.

Ergebnisse:

• Belastbarkeit der Datenlage
NO2: Die Beweiskraft für Effekte der Kurzzeitexposition auf die Atemwege wird von WHO/EU und US-EPA als hoch angesehen, insbesondere für das Auftreten von Asthma und die Verschlimmerung von Asthma-Symptomen. Die Datenlage zu Effekten der Langzeitexposition von NO2 ist demgegenüber weniger eindeutig. Die US-EPA sieht keine klaren Belege für unabhängige NO2-Effekte auf biologische Prozesse, die zu erhöhter Mortalität führen könnten.
Feinstaub (PM2,5): Die Beweiskraft für Effekte der Kurzzeitexposition auf das Herz-Kreislauf-System und die Atemwege sowie auf die tägliche Sterberate wird von WHO/EU und US-EPA als hoch eingestuft. Die Beweiskraft für Effekte der Langzeitexposition auf die Mortalität (Gesamtsterblichkeit) sowie Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen wird ebenfalls als hoch angesehen.
Sonstige verkehrsabhängige Schadstoffe: Für grobe Partikel (PM10-2,5) sowie für ultrafeine Partikel gibt es aus Sicht von WHO/EU und USEPA wegen der begrenzten Datenlage lediglich Hinweise auf Effekte der Kurzzeitexposition.

• Quantitative Abschätzungen der Auswirkungen der Langzeitexposition auf die Mortalität
NO2: US-EPA und WHO/EU sehen die Datenlage für quantitative Aussagen zu vorzeitigen Todesfällen und verlorenen Lebensjahren als begrenzt an. Deshalb verzichtet US-EPA auf die Durchführung entsprechender Abschätzungen für NO2. WHO/EU empfiehlt solche Abschätzungen nur für Sensitivitätsanalysen und verweist darauf, dass NO2 möglicherweise ein Schadstoffgemisch repräsentiert und man nicht ausschließen kann, dass derartige Abschätzungen nicht die Wirkungen des NO2-Gases allein wiedergeben.
Feinstaub (PM2,5): US-EPA und WHO/EU halten Aussagen zu vorzeitigen Todesfällen und zu verlorenen Lebensjahren für abgesichert und nehmen entsprechende Abschätzungen vor.
Sonstige verkehrsabhängige Schadstoffe: Nach Einschätzung von US-EPA und WHO/EU ist die Datenlage nicht ausreichend, um Abschätzungen für gesundheitliche Langzeitwirkungen dieser Schadstoffe durchführen zu können.
Ferner machen weitere internationale Expertengremien quantitative Aussagen zum Zusammenhang zwischen der Langzeitexposition gegenüber Feinstaub und der Mortalität. WHO/EU, US-EPA, die EU-Kommission, die OECD und das Konsortium „Global Burden of Disease“ führen Abschätzungen für PM2,5 durch und geben den berechneten Mortalitätseffekten ein hohes Gewicht. Für NO2 nimmt lediglich die Europäische Umweltbehörde quantitative Abschätzungen vor.

• Auswirkungen von Maßnahmen zur Luftreinhaltung in Hinblick auf die Gesundheitsrisiken
NO2: Die Reduktion der Exposition gegenüber NO2 als Gas kann naturgemäß nur eine Verringerung der gesundheitlichen Auswirkungen des Gases NO2 zur Folge haben. Betrachtet man NO2 als Indikator für das Gemisch verkehrsabhängiger Luftschadstoffe, dann können die durch die anderen Schadstoffe (wie ultrafeine Partikel, Ruß (elementaren Kohlenstoff), PAH etc.) bedingten gesundheitlichen Auswirkungen nicht direkt durch die Reduktion der Freisetzung des Gases NO2 beeinflusst werden. Hierzu ist es vielmehr erforderlich, die Freisetzung dieser Schadstoffe ebenfalls zu verringern.
Feinstaub (PM10, PM2,5), ultrafeine Partikel: Dieselrußfilter sorgen für eine erhebliche Reduktion der Freisetzung von groben, feinen und ultrafeinen Partikeln. Damit werden gleichzeitig die an diese Partikel angelagerten toxischen Stoffe herausgefiltert. Ferner hat sich die Einführung von Umweltzonen als eine wirkungsvolle Maßnahme zur Verringerung der Partikelbelastung erwiesen.

Schlussfolgerungen:

Es ist klar nachgewiesen, dass die Kurzzeitexposition gegenüber hohen Belastungsspitzen von NO2 zum Auftreten von Asthma und der Verschlimmerung von Asthmasymptomen führen kann.
In Hinblick auf Effekte der Langzeitexposition gegenüber NO2 ist die Datenlage weniger eindeutig, dennoch haben WHO/EU und USEPA Richtwerte/Grenzwerte zum Schutz der Bevölkerung vor Langzeitbelastungen durch NO2 festgelegt. Eine quantitative Abschätzung von Effekten des Gases NO2 auf die Mortalität erscheint schwierig, da eine Abgrenzung von Auswirkungen anderer verkehrsabhängiger Schadstoffe nicht überzeugend gelingt. Am ehesten lässt sich NO2 als Indikator für verkehrsabhängige Schadstoffe verstehen. Daher ist es aus gesundheitlicher Sicht nicht ausreichend, nur die Freisetzung des Gases NO2 aus Kraftfahrzeugen zu verringern.
Feinstaub: Demgegenüber sind die gesundheitlichen Auswirkungen der Feinstaubbelastung in Hinblick auf die Kurzzeit- und Langzeitexposition als gesichert anzusehen. So steigt nach dem derzeitigen Wissensstand die Mortalität mit zunehmender Belastung durch PM2,5 an und entsprechend ist von einem Rückgang der Mortalität bei Reduktion der Feinstaubbelastung auszugehen.
Auch wenn die Beweiskraft für Auswirkungen von Feinstaub auf die Gesundheit – insbesondere bei Langzeitbelastung – klarer und das Ausmaß der Gesundheitsschäden höher ist als durch das Gas NO2, so ist dennoch zum Schutz der Bevölkerung eine Verringerung der hohen NO2-Belastung in städtischen Bereichen in Deutschland dringend zu fordern.

Schlagworte: Stickstoffdioxid, Feinstaub, Gesundheitswirkungen, Mortalität, Risikoabschätzung

Discussion contribution: Health risks of nitrogen dioxide compared to particulate matter and other traffic-dependent air pollutants

Background:

Ambient air pollution from motor vehicle traffic is recognized to pose serious health risks to the population. However, it is important to consider the contributions of the individual pollutants as well as of the mixture as a whole in order to come to the right conclusions and measures. This paper is based on the evaluations of international bodies such as WHO/EU and US EPA on the effects of NO2, particulate matter (PM10, PM2,5) and other traffic-related pollutants. The focus here is on the reliability of the available data and the quantitative consideration of effects of long-term exposure. Furthermore, health effects of reduction measures are considered.

Results:

• Reliability of the available data
NO2: The evidence for effects of short-term exposure is considered high by WHO/EU and US EPA, in particular for the onset of asthma and the worsening of asthma symptoms. The data on the effects of long-term exposure to NO2 is less clear. The US EPA sees no clear evidence of independent NO2 effects on biological processes that could lead to increased mortality.
Particulate matter (PM2,5): The evidence for effects of short-term exposure to the cardiovascular system and the respiratory tract as well as the daily mortality rate is considered high by WHO/EU and US EPA. The weight of evidence for long-term exposure effects on mortality (total mortality) and cardiovascular and respiratory diseases is also considered high.
Other traffic-dependent pollutants: For coarse particles (PM10-2,5) as well as for ultrafine particles, due to from WHO/EU and US-EPA there is only suggestive evidence for effects of short-term exposure, due to the limited data available.

• Quantitative estimates of the effects of long-term exposure on mortality
NO2: US-EPA and WHO/EU consider the data available for quantitative statements on premature deaths and years of life lost as limited. As a result, US EPA has decided not to make estimates for NO2. WHO/EU only recommends estimates for sensitivity analyzes and points out that NO2 may represent a pollutant mixture and it cannot be ruled out that such estimates will not reflect the effects of the NO2 gas alone.
Particulate matter (PM2,5): US-EPA and WHO/EU consider calculations of premature deaths and years of life lost as justified and make appropriate estimates.
Other traffic-related pollutants: According to the evaluation of EPA and WHO/EU, the data base is not sufficient to allow assessments of long-term health effects of these pollutants. Furthermore, other international expert committees make quantitative statements on the relationship between long-term exposure to particulate matter and mortality. WHO/EU, US EPA, the European Commission, the OECD and the Global Burden of Disease consortium are providing estimates for mortality effects of PM2,5. For NO2, only the European Environment Agency makes quantitative estimates.

• Effects of air pollution control measures on health risks
NO2: The reduction of exposure to NO2 as a gas can naturally only reduce the health effects of the NO2 gas.
Considering NO2 as an indicator of the mixture of traffic-dependent air pollutants, the health effects caused by the other pollutants (such as ultrafine particles, soot (elemental carbon), PAH, etc.) cannot be directly influenced by the reduction in the release of the NO2 gas. For this purpose, it is necessary to reduce the release of these pollutants also.
Particulate matter (PM10, PM2,5), ultrafine particles: Diesel soot filters significantly reduce the release of coarse, fine and ultrafine particles. At the same time, the toxic substances attached to these particles are filtered out. Furthermore, Low Emission Zones have turned out to be an effective means of reducing particulate pollution.

Conclusions:
NO2: It is clearly documented that short-term exposure to high levels of ambient NO2 can lead to the onset of asthma and the aggravation of asthma symptoms.
Regarding the effects of long-term exposure to NO2, the data is less clear, but WHO/EU and US EPA have set guidelines/limits values to protect the population from long-term NO2 exposure. A quantitative estimation of the effects of the NO2 gas on mortality appears to be difficult, since it is not convincingly possible to separate them from the effects of other pollutants. NO2 should be considered as an indicator of traffic-dependent pollutants. Therefore, from a health point of view, it is not enough just to reduce the release of the NO2 gas from motor vehicles.
Particulate matter: By contrast, a large number of health effects of particulate matter with regard to short-term and long-term exposure are verified. According to the current state of knowledge, mortality increases with increasing exposure to PM2,5 and, respectively, a reduction in mortality is to be expected with a reduction in ambient particulate matter.
Even though the weight of evidence for the effects of particulate matter on health - especially long-term exposure - is clearer and the extent of damage to health higher than that of NO2, reducing the high level of NO2 pollution in urban areas in Germany is urgently needed to protect the population.

Keywords: Nitrogen dioxide, particulate matter, health effects, mortality, Health Impact Assessment

 

Zitierweise:
Wichmann HE (2018). Gesundheitliche Risiken von Stickstoffdioxid im Vergleich zu Feinstaub und anderen verkehrsabhängigen Luftschadstoffen. Umweltmed – Hygiene – Arbeitsmed 23(2): 57–71

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