Medizinproduktegesetz - Vorwort zur 32. Lieferung

W. Menke, M. Kindler

Der thematische Schwerpunkt dieser 32. Lieferung ist die Anpassung der deutschen Vorschriften für Medizinprodukte an das novellierte europäische Medizinprodukterecht. Der Geltungsbeginn der EU-Verordnung 2017/745 (MDR) wurde von der EU auf den 26. Mai 2021 verschoben. Das Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz (MPEUAnpG) setzen wir mit dem zweiten Teil seines Textes fort. Die Aufnahme der für das Verständnis des Gesetzestextes wichtigen Begründung haben wir mit dieser Lieferung abgeschlossen. Ferner haben wir den Bericht des Ausschusses für Gesundheit in einem eigenen Kapitel berücksichtigt, in dem die im Gesetzgebungsverfahren gegenüber dem Regierungsentwurf beschlossenen Änderungen erläutert werden.

Die beiden neu aufgenommenen Dokumente der Koordinierungsgruppe MDCG behandeln die geänderten Übergangsbestimmungen des Artikels 120. Dabei konkretisiert MDCG 2020-2 zunächst die neuen Sonderregelungen für Medizinprodukte der Klasse I. Darüber hinaus definiert MDCG 2020-3, welche Änderungen der Auslegung oder der Zweckbestimmung von nach MDD bzw. AIMDD zertifizierten Medizinprodukten als so „wesentlich“ einzustufen sind, dass eine Konformitätsbewertung nach der MDR erforderlich wird.

Kapitelübersicht der 32. Lieferung:

  • EU-Verordnung über Medizinprodukte (MDR) – Änderung Geltungsbeginn
  • Dokument MDCG 2020-2 der Koordinierungsgruppe zu Übergangsbestimmugen nach Artikel 120 MDR für Klasse I
  • Dokument MDCG 2020-3 der Koordinierungsgruppe zu „wesentlichen Änderungen“ von Auslegung und Zweckbestimmung nach Artikel 120 MDR
  • Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz (MPEUAnpG) – Wortlaut, Teil 2
  • Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz (MPEUAnpG) – Begründung, Teil 3
  • Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz (MPEUAnpG) – Bericht des Gesundheitsausschusses
  • Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) – Wortlaut, Teil 1


Medizinprodukte als Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA)

Eine Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) ist nach § 33a SGB V ein Medizinprodukt niedriger Risikoklasse (I oder IIa), „dessen Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht.“ Die Voraussetzungen für diesen neuen Produktbereich im Erstattungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen sind mit dem Digitale-Versorgung- Gesetz (DVG) vom 9. Dezember 2019 geschaffen und die Details dazu durch die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) vom 8. April 2020 konkretisiert worden. Der Hersteller muss auf Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) belegen, dass seine DiGA die in einem sog. DiGA-Leitfaden dieser Bundesoberbehörde festgelegten Anforderungen erfüllt. Dann kann das BfArM diese DiGA in das neu geschaffene Verzeichnis für erstattungsfähige Gesundheitsanwendungen nach § 139e SGB V aufnehmen.

1. Eigenschaften von Digitalen Gesundheitsanwendungen

Digitale Gesundheitsanwendungen weisen besondere Eigenschaften auf, die hier nach den Ausführungen im DiGA-Leitfaden aufgeführt und erläutert werden sollen (gekürzte Auflistung aus BfArM: Das Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nach § 139e SGB V. Ein Leitfaden für Hersteller, Leistungserbringer und Anwender. www.bfarm.de):

  • Medizinprodukt der Risikoklasse I oder IIa
  • Die Hauptfunktion der DiGA beruht auf digitalen Technologien.
  • Der medizinische Zweck muss wesentlich durch die digitale Hauptfunktion erreicht werden.
  • Die DiGA unterstützt die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen (d. h. dient nicht der Primärprävention).
  • Die DiGA wird vom Patienten oder von Leistungserbringer und Patient gemeinsam genutzt.


a) Risikoklasse I oder IIa:

Die DiGA muss ein verkehrsfähiges Medizinprodukt entsprechend den Definitionen des Medizinprodukterechts sein. Die digitale Hauptfunktion muss „konsistent mit der Zweckbestimmung des CE-gekennzeichneten Medizinproduktes sein“ (DiGALeitfaden, S. 19). Der (verschobene) Geltungsbeginn der Verordnung (EU) über Medizinprodukte (MDR) ab 26. Mai 2021 kann mit einer Höherklassifizierung verbunden sein. Eine Höherstufung auf Klasse IIa ändert die DiGA-Eigenschaft nicht, wenn weiterhin ein verkehrsfähiges Produkt mit gültiger CE-Kennzeichnung entsprechend den Übergangsfristen vorliegt. Bei einer Höherstufung über IIa hinaus entfällt der DiGA-Status definitiv.

b) Digitale Hauptfunktion:

Medizinprodukte, die mit primär analogen Funktionen die medizinische Zweckbestimmung erfüllen, können keine DiGA sein. Medizinprodukte mit sowohl analogen als auch digitalen Funktionen können nur dann als DiGA eingeordnet werden, wenn ihr analoger Anteil lediglich eine untergeordnete oder ergänzende Funktion hat.

c) Nutzung durch Patienten:

Die Interaktion von Patienten mit der Digitalen Gesundheitsanwendung ist ein ganz wesentliches Entscheidungskriterium für eine Einordnung als DiGA. Die Patienten sind die Nutzer einer DiGA, entweder allein oder zusammen mit niedergelassenen Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten. Digitale Lösungen, welche im Rahmen der Behandlung von Patienten ausschließlich von Leistungserbringern eingesetzt werden, sind der Praxisausstattung zuzuordnen und können keine digitalen Gesundheitsanwendungen sein (DiGA-Leitfaden, S. 12).

2. Technische Anforderungen an Digitale Gesundheitsanwendungen

Eine DiGA muss nach § 139e SGB V

  • den Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität des Medizinproduktes entsprechen und
  • den Anforderungen an den Datenschutz entsprechen und die Datensicherheit nach dem Stand der Technik gewährleisten.


a) Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität:

Der Nachweis von Sicherheit und Funktionstauglichkeit gilt bei Vorlage der Dokumente einer rechtmäßigen CE-Kennzeichnung grundsätzlich als erbracht. Ein ganz wesentlicher Aspekt der Qualität ist die Interoperabilität.

b) Datenschutz und Datensicherheit:

Die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung enthält zwei Anlagen mit Checklisten:

  • Anforderungen an Datenschutz und Informationssicherheit
  • Anforderungen an Interoperabilität, Robustheit, Verbraucherschutz, Nutzerfreundlichkeit, Unterstützung von Leistungserbringern, Qualität medizinischer Inhalte und Patientensicherheit


3. Positive Versorgungseffekte von Digitalen Gesundheitsanwendungen

Ein vom Hersteller nachzuweisender positiver Versorgungseffekt nach § 139e SGB V kann entweder ein medizinischer Nutzen oder eine patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserung sein. Beide sollen sich unmittelbar auf die Patienten beziehen und mittels entsprechender Endpunkte belegt werden. Die Regelungen sollen zudem „unter Berücksichtigung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin“ erfolgen (139e SGB V).

Der vom Hersteller postulierte positive Versorgungseffekt muss konsistent sein mit der Zweckbestimmung und den Funktionen/Inhalten der DiGA sowie mit den zu ihr vom Hersteller veröffentlichten Aussagen. Eine Erweiterung der Indikation oder der Zielgruppe über den Rahmen der Zweckbestimmung hinaus ist ausgeschlossen, eine Einschränkung zulässig (DiGA-Leitfaden, S. 87).

a) Medizinischer Nutzen:

Der medizinische Nutzen ist im Sinne der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung ein patientenrelevanter Effekt insbesondere hinsichtlich

  • der Verbesserung des Gesundheitszustands,
  • der Verkürzung der Krankheitsdauer,
  • der Verlängerung des Überlebens oder
  • einer Verbesserung der Lebensqualität.

Als Nachweis sind positive Effekte auf patientenrelevante Endpunkte wie Morbidität, Mortalität oder Lebensqualität erforderlich.

b) Patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen:

Die patientenrelevanten Struktur- und Verfahrensverbesserungen in der Versorgung sind nach der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung „auf eine Unterstützung des Gesundheitshandelns der Patientinnen und Patienten oder eine Integration der Abläufe zwischen Patientinnen und Patienten und Leistungserbringern ausgerichtet“.

Sie umfassen insbesondere die Bereiche der

  1. Koordination der Behandlungsabläufe,
  2. Ausrichtung der Behandlung an Leitlinien und anerkannten Standards,
  3. Adhärenz,
  4. Erleichterung des Zugangs zur Versorgung,
  5. Patientensicherheit,
  6. Gesundheitskompetenz,
  7. Patientensouveränität,
  8. Bewältigung krankheitsbedingter Schwierigkeiten im Alltag oder
  9. Reduzierung der therapiebedingten Aufwände und Belastungen der Patienten und ihrer Angehörigen.



Zitierweise:
Menke W, Kindler M (Hrsg): Medizinproduktegesetz - MPG, 32. Erg.Lfg., ecomed Medizin, Landsberg

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